Kapstadt – Resumée nach 5 Wochen

Die ‚Koalition für Evangelisation‘ (Lausanner Bewegung Deutschland) hat die deutschen Kapstadt-Fahrer um ein eine-DinA4-Seite-langes Resumée gebeten. Hier, in aller Kürze und Brutalität, ist meins. Wer den ausführlicheren Rückblick eines sehr viel lesenswerteren Mannes lesen möchte, sollte sich den Text von Dr. René Padilla (Buenos Aires) zu Gemüte führen.

Capetown 2010 – Resumée von Gottfried Müller

So bereichernd der Besuch von Capetown 2010 für mich persönlich war, so durchwachsen habe ich den Kongress als Standortbestimmung und Neufocussierung der globalen evangelikalen Christenheit empfunden. Neben Beiträgen und Begegnungen, die ich als echte Höhepunkte erlebt habe, gab es auch solche, die mich persönlich frustriert und irritiert haben.

Grundsätzlich muss wohl festgehalten werden, dass die kulturellen und theologischen Unterschiede zwischen den Christen der verschiedenen Erdteile möglicherweise größer sind, als wir das in unseren nationalen Betrachtungsweisen oft zuzugeben bereit sind, auch wenn die gemeinsame Liebe zu Jesus eine rational kaum zu erklärende Verbindung zwischen uns schafft. So gesehen waren die vielen erzählten ‚Stories’ möglicherweise besser in der Lage, die Gräben zwischen den Teilnehmern zu überwinden, als es das von einigen deutschen Delegierten vermisste ‚richtige theologische Arbeiten’ auf diesem Kongress jemals vermocht hätte.

Über allem war m. A. n. eine deutliche Spannung vor allem zwischen zwei theologischen Lagern zu spüren, die man einerseits als ‚Proklamatoren’ und andererseits als ‚Holisten’ bezeichnen könnte: die Vertreter des Primats der verbalen Verkündigung einerseits und jene, die sich für eine Verkündigung des Evangeliums in Wort und Tat stark machen, andererseits. Einen Tiefpunkt erreichte dieser unausgesprochene Konflikt in der Bibelarbeit von John Piper am Mittwoch, die man kaum anders als eine Replik auf die Bibelarbeit von Ruth Padilla deBorst vom Vortag verstehen konnte. Hier ging es offensichtlich darum, etwas theologisch ‚zurecht’ zu rücken. In den folgenden Tagen schwächte sich dieser Konflikt ab, ohne jemals ganz zu verschwinden.

Besonders frustriert hat mich der Montag, der ‚Tag der Wahrheit’. Denn während richtiger Weise an einem anderen Tag (Mittwoch?) um Verständnis und Respekt für die Anhänger des Islam und ihre Religion und Kultur geworben wurde, waren es gerade die Vertreter der ‚säkularisierten’ und ‚pluralistischen’ Gesellschaften des Westens, die für ihren eigenen kulturellen Background keinerlei Verständnis aufbrachten. So wetterten Nordamerikaner und Westeuropäer (mit Ausnahme von Michael Herbst!) gegen die Kulturen ihrer Herkunftsländer, ohne auch nur einen Ansatz von Respekt oder Erklärungsversuchen zu zeigen. Gerade bei diesem Thema scheinen unsere Analysen eher angstridden zu sein, als dass sie Ausdruck eines liebevollen, geistgeleiteten Nachforschens wären. Ich halte das für bedenklich. Man kann keine Kultur erreichen, vor der man Angst hat.

Besonders profitiert habe ich von dem Abend für verfolgte Christen und dem darauffolgenden ‚Tag der Versöhnung’. Der Mut, die Opferbereitschaft und der Einsatzwille der Geschwister für die Werte des Reiches Gottes, dem oft die öffentliche Anerkennung versagt bleibt, hat mich sehr tief beeindruckt und herausgefordert. Diese Haltung ist meiner Ansicht nach auch eine der wichtigsten und stärksten Botschaften des Kongresses an die weltweite Christenheit.

Im Nachhinein erschüttert bin ich über die Tatsache, dass zu keinem Zeitpunkt erwähnt wurde, dass das Kongresszentrum auf den Trümmern des District 6 erbaut worden ist, wir also auf den Relikten eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit stehend Gottesdienst feierten. (Ich habe das durch René Padillas lesenswertes Resumée erfahren.) Überhaupt ärgert es mich maßlos, dass die Lausanner Bewegung weder die Apartheid, noch den erfolgreichen Kampf der südafrikanischen Christen für Versöhnung überhaupt für erwähnenwert gehalten hat. Dieses Versäumnis ist meiner Meinung nach nicht zu entschuldigen.

Ein Kommentar

  1. marburgersyndikat

    Nachdem ich von dem einen oder anderen über meine Ad-Hoc-Notizen aus Kapstadt gehört habe, sie seien doch recht negativ und kritisch gewesen, habe ich mich entschieden, für das Resumée eine kleine Lesehilfe anzufügen, nur zum besseren Verständnis (das kann man jetzt auch wieder polemisch finden, aber das ist dann vielleicht auch irgendwie ein klitzekleines Problem des Betrachters):

    1. Absatz: Einleitung
    2. Absatz: Beobachtung (theologische und kulturelle Gräben) mit implizitem Lob (Stories)
    3. Absatz: Beobachtung (Spannung) mit expliziter Kritik (Piper)
    4. Absatz: explizite Kritik (mangelndes Verständnis für pluralistische Kultur)
    5. Absatz: uneingeschränktes Lob (Einsatz und Hingabe der Christen)
    6. Postscriptum: nachträgliche Kritik an den Veranstaltern

    Bitte auch die zahlreichen Äußerungen wie ‚meiner Ansicht nach‘, ‚ich finde‘, ‚ich bin der Meinung‘ beachten. Sie wollen sagen: ‚Das ist meine Meinung, man kann sie diskutieren, möglicherweise habe ich ja auch nicht Recht.‘

    Ich hoffe, das hilft.

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